Festwoche für Richard Gölz 30.9. - 6.10.2013 in Tübingen

Herzlichen Glückwunsch zum ungewöhnlichen Programm der Festwoche rund um Richard Gölz, den „Kantor Schwabens“ im Evangelischen Stift zu Tübingen!

Anlässlich des 80jährigen Bestehens standen nicht allein Vorbereitung und Singen der Stundengebete und der Gregorianischen Messe sowie ein Studium zu dem früheren Stiftsmusikdirektor Richard Gölz auf dem Programm. Ebenso gab es  einen Einblick in die Arbeit des Filmteams um Professorin Sabine I. Gölz, eine Enkelin von Richard Gölz aus den USA, die dazu einlud, Ausschnitte aus den Vorarbeiten zu einem Dokumentarfilm über Richard Gölz zu erleben. Als reizvoll erwies es sich, danach auch die Reaktionen von Menschen aus Gölz‘ Familie, seiner ehemaligen Wankheimer Gemeinde (1) und schließlich seiner Arbeit als orthodoxer Priester (2) mit zu erleben. Prof. Joachim Conrad gestaltete, - wie bereits 1994 - das theologische Studium der Woche rund um Richard Gölz. 1994 hatte er seine Dissertation über Gölz gerade abgeschlossen (3). Da Conrad mit einem zum 70sten Jubiläum erschienenen Buch die Arbeit der KAA wissenschaftlich bis ins Jahr 2003 hinein dokumentiert hat (4), referierte er in den Studien über Gölz‘ Bedeutung für die KAA und seine theologischen Impulse für die Evangelische Kirche. Dazu hielt er einen öffentlichen Vortrag zum Thema, der ausgezeichnet bündelte, was an Gölz‘ vielfältigem Schaffen bis heute fasziniert. Nicht zuletzt stand ein ‚Offenes Singen‘ - geleitet von Kirchenmusikdirektor Prof. Ingo Bredenbach - auf dem Programm. In ihm ging alles um das Chorgesangbuch, das Gölz 1934 herausgegeben hat.(5). Es zielte auf die Mitgestaltung der Tübinger Motette (6) in der Stiftskirche zum Ende der Woche.

Zunächst begann jedoch alles mit Pech und Pannen. Die Züge der Bundesbahn - und damit die Hälfte der Teilnehmenden - verspäteten sich erheblich. Weder die Kopien der Noten der Stundengebete der Woche noch die – zum Jubiläum neu herausgegebenen Bücher der - ‚Complet. Ausgabe für die Gemeinde‘ waren eingetroffen. Kantor KMD Prof. Gero Soergel bewies Improvisationstalent! Nichts hielt ihn davon ab, dennoch in seinen Singübungen und allen Gottesdiensten (7) die spontanen Gäste aus Tübingen und seinem Umland in die Grundlagen des Alpirsbacher Antiphonale einzuführen. Dabei beeindruckte mich sein unermüdliches Streben, die alten Melodien, den lateinischen Worten der Bibel zugedichtet, in der Neufassung des Lutherdeutschs nicht zu verbiegen, sondern in neuem Glanz erklingen zu lassen. Unermüdlich lud er ein, den Klang der Stimmen schmiegsam und ausdrucksstark in den alten Melodien zu bewegen, und ließ hören, warum es Gölz so wichtig war, bei aller Würde und Schönheit der Melodien die Worte sauber zu artikulieren. Schreibt Gölz im Geleitwort zu seinem Gesangbuch: „Das Beste und Schönste an der alten Kirchenmusik sind die Texte“, so hätte es ihn sicher ebenso gefreut, auch bei Ingo Bredenbachs Offenem Singen dessen unentwegtes Erinnern an ein deutliches Sprechen mitzuerleben. Bredenbachs profunder Vorbereitung, seinem Temperament und Wortwitz ist es zu danken, dass aus der bunten Schar von mehr als 60 ad-hoc-Singenden bis zum Ende der Probe ein Chor geworden war, der seine ‚Gölz‘-Auswahl von 15 Stücken aus verschiedenen Epochen der Musikgeschichte mit Begeisterung aufnahm. Mir war das Chorgesangbuch vor 30 Jahren nur einmal flüchtig in die Hand gefallen, jetzt wurde mir dadurch ein genialer Zugang zu Gesängen aus vielen Jahrhunderten geschenkt. Schwärmten mir damals in Köln ‚die Alten‘ vor, welch einen Umbruch das Erscheinen dieses Buches 1934 im evangelischen Chorgesang bedeutet hatte, so erlebte ich in diesen Tagen in Tübingen, dass `Gölz‘ Zusammenstellung bis heute nichts an Charme und Ausdruckskraft verloren hat.

Der Einblick in das Werden des Films über Richard Gölz, die theologischen Diskussionen über Brüche und Entwicklungen in seinem Leben und Glauben, Singübungen und Stundengebete im Tübinger Stift und am Samstag das Mitfeiern der Gregorianischen Messe in Bebenhausen und anschließend der Motette in Tübingen, all das war ein großes Geschenk. Es lässt nur ahnen, wie sehr Gölz darum gerungen und sich dafür eingesetzt hat, eine Weggefährtenschaft (8) zu finden, die mit ihm Gottes Anbetung singen und sagen und seine geheimnisvolle Gegenwart feiern möchte (9). Seitdem haben viele in der weltweiten Ökumene daran mitgearbeitet, dieses Erbe aufrecht-zuerhalten und je auf ihre Weise weiter zu entwickeln. Davon zeugten die Tage in Tübingen. Danke dafür!

1 siehe dazu Kurt Oesterle, Richard Gölz. Ein Wankheimer Licht im deutschen Dunkel, Tübingen 2011

2Zur Vorführung kam Johannes Kaßberger, der auch ursprünglich evangelischer Pfarrer werden wollte. Heute betreut er als Priester die Orth. Gemeinde russischer Tradition des Hl. Alexander Nevskij in Stuttgart. In Milwaukee, USA, ging er auf Spurensuche von Richard Gölz und seinem Wunsch nach einem Leben für den Gottesdienst.

3Joachim Conrad, Richard Gölz (1887 – 1975). Der Gottesdienst im Spiegel seines Lebens, Veröffentlichungen zur Liturgik, Hymnologie und theologischen Kirchenmusikforschung Bd. 29, Göttingen 1995

4Joachim Conrad, Liturgie als Kunst und Spiel. Die Kirchliche Arbeit Alpirsbach 1933–2003; Heidelberger Studien zur Praktischen Theologie Bd. 8; Hamburg-Münster-London 2003

5Chorgesangbuch. Geistliche Gesänge für ein bis fünf Stimmen. Im Auftrag des Verbandes evangelischer Kirchenchöre in Württemberg unter Mitarbeit von Konrad Ameln und Wilhelm Thomas herausgegeben von Richard Gölz, Kassel und Basel 1934

6Die Tübinger Motette ist eine ‚Geistliche Musik in liturgischer Form‘, die 1945 ins Leben gerufen wurde und jeden Samstagabend in der Stiftskirche St. Georg in Tübingen stattfindet.

7 J. Conrad schreibt (in: Richard Gölz (1887 – 1975). Der Gottesdienst…, S. 281): “In den altkirchlichen Ordnungen zeigte sich für ihn (Gölz), wie gut und in welch angemessenem musikalischen Gewand das Wort bewahrt werden konnte. Hier wurde die Bibel nicht zum Steinbruch des Gottesdienstes, hier wurden nicht Bibelsprüche je nach Geschmack herausgefiltert, mit eigenen Ideen und etlichem Zeitgeist aufgebraut und an die Gemeinde als reines Wasser verkauft, sondern hier war die Schrift selbst Gottesdienst, wurde mit den Psalmen, Cantica und Schriftlesungen der Bibel unfiltriert gepredigt, gebetet und gesungen.”

8 Karl Eßlinger und Eberhard Weismann schreiben: „Im Lauf der von Jahr zu Jahr gehenden, den Ort oft wechselnden Kirchlichen Wochen hatte sich gezeigt, dass angesichts der Überfülle von festen kirchlichen Organisationen die Lebensform des „wandernden Gottesvolks“ der Kirchlichen Arbeit doch wohl am meisten angemessen ist.“ in: Karl Eßlinger und Eberhard Weismann, Singen und Sagen. Richard Gölz zum Gedächtnis, Alpirsbach 1986, Seite 38 .

9 „Sprecht im Glauben mit Freuden ja, ja, ja und singet Halleluja.“ (Zitat aus dem Programmheft der Tübinger Motette am 5.10.2013 anlässlich „80 Jahre Kirchliche Arbeit Alpirsbach. Richard Gölz in memoriam“, Seite 4, dem Vortrag „Zu dieser österlichen Zeit“ (Melodie und Satz: Johann Eccard (1553 – 1611), Text: Ludwig Helmbold)

Bericht von Birgit Henschel