Epiphaniaswoche Heiligkreuztal, 01. - 06. Januar 2015

...Schon seit Jahren überlege ich, wie ich die letzten Tage des alten Jahres und die ersten Tage des neuen Jahres einmal „anders“ verbringen könnte. Schnell vergeht diese Zeit mit Erinnern und Abschätzen des Vergangenen und Ideen und Planen für Neues.... Wie schnell bin ich in alter Bewegung im neuen Jahr...

Diese Zeit „zwischen den Jahren“, bis Epiphanias, wollte ich mich weg vom gewohnten Umfeld begeben...Sehr gerne Singen- aber auch keine „Rüstzeit“ besuchen, wie ich diese von Kindheit an kenne, mit viel Bewegung und Trubel....

Ich vermisste zunehmend etwas Einkehr und Innehalten in dieser Zeit, eventuell ein Vorbereiten auf das neue Jahr...eine Stärkung. So recherchierte ich ein wenig in der hektischen Zeit im November 2014. Parallel erzählte mir ein „Mitsänger“ aus dem Görlitzer Bachchor, Michael Winkler, recht begeistert vom Gregorianischen Singen seinerseits, immer verteilt über das Jahr, an verschiedenen Orten, ...von der Alpirsbacher Arbeit.

So meldete ich mich denn auch an, nach herzlich einladenden und erklärenden Telefonaten mit Pfarrerin Barbara Wurz. Noch nie hatte ich gregorianische Musik gesungen, gerne höre ich sie - kenne den Klang....hatte mich aber damit noch nicht näher beschäftigt. Nach Frau Wurz und den Beschreibungen von Michael Winkler würde ich herzlich aufgenommen werden und mit einiger Übung schnell hineinfinden können....

So kam der Jahreswechsel zu 2015; ich plante den Silvestertag schon etwas „auf der Strecke“ nach Heiligkreuztal. Ich war in Leipzig...Ganz aus dem Osten, im deutsch- polnisch- tschechischen Dreiländereck bei Görlitz wohnend, musste ich nun durch ganz Deutschland fahren. Es war eine eigentümliche Stimmung, am 1. Januar im Auto unterwegs zu sein... Das Wetter war gut, um zu reisen. Ich freute mich auf die Zeit, die jetzt kam, ich war gespannt.

Nach dann doch nochmals 7 Stunden Fahrt erreichte ich Heiligkreuztal (wieder einmal staunend, wie weit wir aus dem Osten innerhalb Deutschlands reisen müssen, um an das „andere Ende“ zu gelangen...).

Ich wurde im Kloster herzlichst empfangen. Ein für mich reserviertes Zimmer, eine ehemalige Klosterzelle war hergerichtet. Nach kurzen Einweisungen war ich für mich. Ein warmes, herrlich bemaltes Zimmer, mit erstaunlich funktioneller Einrichtung, sollte nun für eine Woche mein Zuhause sein, mit Blick auf den Innenhof des Klosters. Man sieht aus seinen Fenstern den verlaufenden Kreuzgang, in der Mitte des Hofes ein eine Maria mit dem Kind im Arm... die Glocken der Uhr schlugen, riefen vielleicht schon zu einer Andacht... Ich fühlte mich wohl während der Woche in diesem Zimmer, im Kloster.

Die Essenszeiten waren geregelt- alle miteinander nahmen die Mahlzeiten ein, entweder im Haus in dem Speiseraum- oder in der angeschlossenen Klosterschänke. Vegetarische Speisen waren bedacht; immer wurde reichhaltiges Essen angeboten, nur die extra zu berechnenden Getränke sorgten auch bei den Mahlzeiten für etwas Unmut bzw. Unverständnis. (Manchmal wäre vielleicht etwas mehr Obst und frische Salate für uns „Wenigbeweger“ günstig gewesen..., auch eine stetige Versorgung mit Wasser zum Trinken in Flaschen oder bereitgestellten Krügen wurde vermisst, statt dessen mussten stets Wasserflaschen gekauft und extra berechnet werden, schade für eine einwöchige Sing- und Studierveranstaltung in gut beheizten Räumlichkeiten...).

Ein tonnenförmiger Raum im Kloster lud allabendlich nach dem letzten Stundengebet zum Gespräch und Beisammensein ein,

    bereitgestellter Wein und auch Bier wurden zum Gespräch genossen...oft etwas zu lange (ob der zu singenden Matutin am nächsten Tag) entspannen sich herrliche Gespräche um das Erinnern an „alte“ Singwochen und Begebenheiten oder verschlungene Lebenswege und Erlebnisse Einzelner...

Zum ersten gemeinsamen Singtreffen noch am Anreisetag lud ein großer, geräumiger Saal ein, jeder hatte innerhalb der Woche „seinen“ Platz. Ich wurde herzlich willkommen geheißen, ganz zuerst vom Präses Rüdiger Schloz; bemerkte ich doch, dass sich die meisten recht gut kennen, ich war also als „Neuling“, als Novizin gespannt... Nach einigen organisatorischen Startschwierigkeiten (Frau Wurz war erkrankt und nicht anwesend) bekam jeder ein wunderschön gebundenes Buch zur Hand, den noch nicht lange vorliegenden Weihnachts- und Epiphanias- Band des Alpirsbacher Antiphonale. (Der übrigens in meinem jetzigen Wohnort, in Großschönau in Ostsachsen gedruckt wurde...).

Nun versuchte ich mich hinein zu finden, eine Novizin; mit Hilfe meiner freundlichen Nachbarinnen und der Kantorin Annegret Ernst-Weissert gelang mir ein tastender, guter Einstieg in die Gregorianik. Letztere und Kantor Rudolf Rienau leiteten die täglich mehrfachen Singübungen; schnell stellte sich heraus, dass die meisten geübte Sänger und häufige Besucher der Alpirsbacher Wochen sind. Die Kantoren waren um stets getreue Wiedergabe der jeweiligen Stundengebete bemüht, immer wieder in kleineren Debatten auch mit Kantorin Anne Winkler um Details besorgt und diskutierend - was die beste Wiedergabevariante sein könnte oder müsste, welche der vielen Regeln, vorgegeben durch viele Zeichen und Schriftvarianten genau hier anzuwenden sei...Ich staunte oft über die angestrebte Präzision, Interpretation der gedruckten Stundengebete. ...Ein sehr großes musiktheoretisches „Neuland“ tat sich da für mich auf. Viele Personen hatten sich in der Nachfolge von anfänglich Richard Gölz und Friedrich Buchholz bis heute um das Alpirsbacher Antiphonale äußerst verdient gemacht.

Durch geduldiges wiederholtes Erklären von allen Seiten, den Kantoren, meinen Mitsängern im Konvent und vom Präses ergaben sich auch für mich manche Notwendigkeiten: der nach Regeln erfolgte wechselseitige Einzug über eine schmale Wendeltreppe in der Kirche, zwei Scholen im Chorgestühl der kalten Kirche (wunderbar an jedem Platz ein Fell zum Wärmen, samt Fußheizung), die Statio    vor dem Einzug, samt Verneigung beim Auseinandergehen, die solistischen Passagen (z.B. die Versikel), ein immer anderes Lied aus dem Gesangbuch zum Auszug, im Kirchenschiff oder im Kreuzgang wandelnd gesungen, das Glockenzeichen des Präses, vor Beginn und zum Ende eines jeden Stundengebetes.

Pünktliches Erscheinen so oft am Tag und Sammlung seines Selbst vor jedem Beginn der Stundengebete verlangte eine neue, andere Tagesordnung als zu Hause. Ich hatte meine Einkehr, mein eigenes stilles Gespräch, eine besondere Ruhe an einem besonderen Ort, mit besonderen, gleichgesinnten, wunderbaren Menschen unterschiedlichster Altersgruppen und mit ganz unterschiedlichen eigenen Geschichten gefunden. Zuerst etwas anstrengend, stellte sich jedoch schnell eine Sortiertheit und Verlässlichkeit im Konvent ein. Eine Ahnung rührte sich in mir, wie die Nonnen in dem Kloster bis in das 19. Jahrhundert hinein, durch die von ihnen gebeteten täglichen Stundengebete eine verlässliche Ordnung, aber auch gewappnet gegen mancherlei Anfechtung, eine Sicherheit verspürt haben mögen in ihrem Gefüge (nach „ora et labora“). Oft kamen mir Momente tiefen Friedens, z.B. auch beim Spazieren durch das weitläufige schöne Gelände des Klosters, noch schneebedeckt, dafür bin ich sehr dankbar. Der Sacrista, Siegfried Müller, der auch die Fotos gemacht hat, versah sehr umsichtig und zurückhaltend dienend täglich seinen Dienst, ebenso der Camerarius, Sibrand Förster, bemüht um jede Unklarheit und deren Auflösung zum Besten...

Der Rector studiorum Prof. Dr. Ralf Krömer referierte über das Thema „Gottfried Wilhelm Leibniz - sein Leben, seine Mathematik, sein Gottesbegriff“ im täglichen Studium. Als neues Mitglied des Leitungskreises der kirchlichen Arbeit Alpirsbach und als geübter Sänger brachte sich Ralf Krömer vielfältig in diese Woche ein. Sein Vortrag, seine umfänglichen Hinweise und Querverweise auf die Zeit, die Lebens-, Denk- und Glaubensgewohnheiten aus der Leibniz- Zeit wurden öfter bestaunt und beim Darlegen „echter“ mathematischer Problematik auch lebensnah ausprobiert.

Homiliator im Amt war für diese Woche Rüdiger Schloz. Die Homilien verhandelten Sacharja, Sach 2, 5-9; Sach 3, 6-10. In gut vorbereiteten kürzeren Texten geht es um Visionen, um den Bau einer Mauer, um Krieg, Deportation und auch Zerstörung...und auch um den Wiederaufbau eines Tempels... Um Verheißungen...(zwischen Advent und Epiphanias)... Dennoch:„...Jahwes Augapfel ist weiterhin angetastet worden, sechsmillionenfach zu unseren eigenen Lebzeiten...“ ...Und mündet tröstlich und verheißungsvoll in „freue dich und sei fröhlich, du Tochter Zion! Denn siehe, ich komme und will bei dir wohnen!“. Wir bitten: Du aber, Herr erbarme dich unser! ...

Alles mündet in der Messe an Epiphanias, am 06.01.2015. Das Singen und Beten um die Messepredigt rührt alle sehr an.

Die Kirche ist noch  „getränkt“ mit Weihrauch vom vorangegangenen katholischen Gottesdienst . Es gibt wenige Gäste zu der vom Konvent gesungenen Messe. Mein, mich etwas überraschendes Resümee aus der Predigt von Präses Rüdiger Schloz, und somit ein guter Wegweiser für das noch so „unbefleckte“ 2015 lautet: „...Das Göttliche kommt also als etwas Fremdes in die Welt, als etwas, das mit unseren gewohnten Vorstellungen von uns selbst und der Welt um uns bricht. Und deshalb sind es die Fremden, die zuerst sehen, was der Stern über uns bedeutet...“

Ich bin angerührt und erstaunt, etwas belehrt und will es in mir bewegen... Der gesungene Reisesegen, welcher an die Messe anschließt, beendet die Zeit in der Kirche...gibt jedem Geleit und Ermutigung für den Rückweg in das heimatliche Umfeld. Manche Träne mischt sich mit Zuversicht. Ein gemeinsames Mittagessen in der Klosterschänke mit herzlichen Verabschiedungen signalisiert den Schlusspunkt hinter diese erfüllte Woche.

Ich bin tief beeindruckt, dankbar und gestärkt nach Hause gefahren. Mag es ein gesegnetes, gesundes und frohes Jahr für alle werden. Während der langen Rückfahrt denke ich gelassen über das neue Jahr nach...und ob ich mich wieder auf diese „Epiphanias- Reise“ begeben werde...

Iris Schöne